Bodengutachten Ludwig-Quidde-Straße wirft Fragen auf

Im Januar konnten wir die Entscheidung des Bezirksamtes begrüßen, dass aufgrund eines neuen Bodengutachtens die Naturfläche westlich der Ludwig-Quidde-Straße bis zum Parkgraben nicht bebaut und damit das Bauvorhaben B 3-59 in der Größe nicht umgesetzt wird, wie es uns auf der Einwohnerversammlung präsentiert wurde. Uns stellte sich die Frage, weshalb wird eine gebotene Schutzwürdigkeit nicht auch für den Teil der Naturfläche östlich der Ludwig-Quidde-Straße bis zum Graben 60 festgestellt? Auf diese Frage eine Antwort erhoffend, forderten wir das Bodengutachten im Januar an.

In den uns dann im März vom Bezirksamt Pankow zur Verfügung gestellten

Bodenkundlichen Untersuchungen im Rahmen des B-Planverfahrens 3-59 Ludwig-Quidde-Straße vom 04.12.2019 von der C&E GmbH Niederlassung Berlin

klassifizieren die Gutachter östlich bzw. südöstlich der Ludwig-Quidde-Straße ein Areal als „anthropogene Auffüllung aus Siedlungsbauschutt“ (S. 30), eingetragen als Legendeneinheit LE5 in der Karte Bodenformen u. Schutzwürdigkeit (Siehe unten Karte Bodenformen u. Schutzwürdigkeit, LE5 grau eingefärbt, Anlage 2 des Gutachtens). Sie mutmaßen: „Dieser Boden ist wahrscheinlich am Anfang der 1950er Jahre durch Aufschüttung von Baurestmassen mit höheren Anteilen an Ziegelbauschutt, Holzkohle und Humus entstanden (S. 29).

Eine derartige anthropogene Beeinflussung des anstehenden Bodens nehmen die Gutachter folglich zum Anlass, dem 1,85 ha umfassenden Gesamtgebiet der LE 5 eine grundsätzlich negative und niedrige Schutzwürdigkeit zu unterstellen.

Bebauungsplan 3-59 u. Potentialfläche. Bodenformen u. Schutzwürdigkeit
(Quelle: C&E GmbH über BA Pankow)

Der Mutmaßung der Gutachter hinsichtlich einer anthropogenen Auffüllung Anfang der 1950-er Jahre widersprechen wir, denn von den in Buchholz-Ost lebenden Zeitzeugen hören wir etwas anderes. Sie seien als Kinder über die Wiese zur Panke gewandert. Da hätte niemand dort Ziegelbauschutt abgelagert. In diesen Jahren seien in Ostberlin Nahrungsmittel ein hohes Gut gewesen, keiner wäre auf die Idee gekommen, Heuwiesen oder Äcker zuzuschütten.

1953: LE5 ist gleichwertig den anderen Flächen des Plangebiets 
(Quelle: Geoportal Berlin, Luftbildkarte 1:22.000; 1953 https://fbinter.stadt-berlin.de/fb/index.jsp?Szenario=luftbild)
Zur Orientierung auf den Luftbildkarten ist ein blauer Kreis um das Grundstück L.-Q.-Str. 41 gezogen.

Die Gutachter glauben jedoch, die Anfang der 1950-er Jahren angenommene Auffüllung anhand von Schüttkegeln in einem Luftbild von 1953 zu sehen (S. 8). Schüttkegel sehen wir dort nicht. Im Gegenteil, das Luftbild von 1953 zeigt eine völlige Gleichwertigkeit von LE5 mit den umgebenden Flächen.

Juli/August 2010: LE5 ist eine Wiese mit Baumgruppe, keinerlei anthropogene Auffüllung
(Quelle: Geoportal Berlin, wie alle Luftbildkarten)

Nun machen wir einen Zeitsprung von mehr als fünfzig Jahren in den Sommer 2010. Auf dem Luftbild oben sehen wir, dass LE5 eine Wiese mit Sträuchern und kleinen Baumgruppen ist. Wir stellen fest, dass LE5 sich nicht von den anderen Naturflächen unterscheidet. Keinesfalls ist auf diesem Areal etwas von einer anthropogenen Auffüllung zu sehen.

August 2015: Bauarbeiten in der Alten Gärtnerei, LE5 Baumgruppe gefällt, Wiese zugeschüttet mit Erdaushub
(Quelle: Geoportal Berlin, wie alle Luftbildkarten)

Nach einem weiteren Zeitsprung von fünf Jahren in den Sommer 2015 blicken wir erneut auf LE5, wo es jetzt völlig anders aussieht. Fast auf dem gesamten Areal von LE5 sind die Bäume und Sträucher abgeholzt und auf der Wiese finden wir auch die Schüttkegel, die die Gutachter glauben, auf dem Luftbild von 1953 zu sehen. Wir stellen fest, dass in der Alten Gärtnerei gebaut wird und wir sehen den Weg, auf dem von dort Erdaushub nach LE5 gebracht wird. Alles deutet darauf hin, dass die anthropogene Auffüllung von LE5 in Verbindung mit den Bauarbeiten in der Alten Gärtnerei stattgefunden hat.

Vollkommen unabhängig von Zeitpunkt, Zeitdauer und Rechtmäßigkeit der Bodenablagerung in LE5 und damit einer anthropogenen Beeinflussung müssen wir festhalten, dass damit die betreffende Fläche eine maßgebliche qualitative Abwertung erfahren hat, da nachweislich ein davon abweichender Ausgangszustand vorgelegen hat (vgl. Luftbildkarte 1953). Wir sind der Auffassung, dass diese anthropogen verschuldete Zustandsverschlechterung nicht zum Anlass genommen werden darf, die negative bzw. niedrige Schutzwürdigkeit von LE5 zu begründen. Anderenfalls würde dies die Möglichkeit eröffnen, durch Zustandsstörungen gleicher Art und Weise auch immer die gesetzlich gebotenen Verpflichtungen des Bundesnaturschutzgesetzes auszuhebeln.

Offen Fragen ergeben sich auch hinsichtlich der Lebensraumfunktion der Legendeneinheiten östlich der Ludwig-Quidde-Straße. Es wird auf die Notwendigkeit entsprechender Untersuchungen verwiesen. Dennoch wird rein hypothetisch eine Schutzwürdigkeits-Einschätzung als „gering“ vorgenommen, da keine besonders seltenen oder geschützten Arten vermutet werden (S. 40, Tab. 6). Wir halten konkrete faunistische und floristische Untersuchungen zur validen Einschätzung der Lebensraumfunktion für dringend geboten.

Bewohnerin östlich der Ludwig-Quidde-Str. an der Grenze LE5/LE6 nahe BP19 am 10. März 2020
(Quelle: BIBO Internetredaktion 03.2020)

Den Gutachtern, die östlich der Ludwig-Quidde-Straße „keine sehr wichtige Lebensraumfunktion“ sehen (S. 40), wird die Bewohnerin heftig widersprechen, die wir an der Grenze von LE5 zu LE6 nahe des Bohrpunktes 19 angetroffen haben. Sie wird es nicht wissen, aber wir, die wir das Bundesnaturschutzgesetz kennen, können ihr sagen, dass sie zu einer besonders geschützten Tierart gehört. Laut Bußgeldkatalog Berlin (Quelle: https://www.bussgeldkatalog.org/tierschutz-igel/) stellt beispielsweise allein das Fangen, Verletzen, Töten von Igeln sowie für die Beschädigung oder Zerstörung der Fortpflanzungs- oder Ruhestätten einen bußgeldbehafteten Tatbestand mit einer Ahndung von bis zu 50.000 € dar.

Fazit: Das Bodengutachten bestätigt eine Schutzwürdigkeit der Naturfläche zwischen Ludwig-Quidde-Straße und Parkgraben, wirft aber Fragen auf hinsichtlich der anthropogenen Auffüllung und des Naturschutzes für das östliche Areal bis zum Graben 60.